Die COVID-19-Pandemie wirkt sich zunehmend auch auf das Wirtschaftsleben in den Vereinigten Arabischen Emiraten ("VAE") aus. Konzerne sowie kleine und mittelständische Unternehmen stellen sich daher in Bezug auf bestehende Verträge, etwa Lieferverträge, die Frage, ob die COVID-19-Pandemie und die von Regierungen diesbezüglich ergriffenen Maßnahmen nach dem Recht der VAE ein Anwendungsfall von Force Majeure, also höherer Gewalt, ist und damit eine taugliche Rechtfertigung für die Auflösung eines Vertrages sein kann. Im Folgenden informieren wir Sie über die grundlegenden Aspekte:
1. Wie verhält sich das Recht der VAE zu Force Majeure?
Auch die Rechtsordnung der VAE kennt das Rechtsinstitut Force Majeure.
a. Definition
Wann ein Ereignis höherer Gewalt vorliegt, bestimmt das lokale Recht nicht. Die konkrete Ausgestaltung des unbestimmten Rechtsbegriffes der höheren Gewalt obliegt vielmehr den VAE-Gerichten.
Nach Kriterien der hiesigen Rechtsprechung muss ein Ereignis höherer Gewalt unvorhersehbar und unvermeidbar sein und sich der Kontrolle des Leistungsschuldners entziehen.
Bislang haben die Gerichte den Tatbestand der höheren Gewalt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen als Rechtfertigung für die Nichterfüllung einer vertraglichen Verpflichtung akzeptiert, etwa im Falle von physischer Unmöglichkeit, etwa bei Naturkatastrophen, oder im Falle von rechtlicher Unmöglichkeit, beispielsweise bei einer Gesetzesänderung.
b. Rechtsfolgen
Erfüllt ein Ereignis die geforderten Voraussetzungen für Force Majeure, gilt der Vertrag nach Artikel 273 Abs. 1 Federal Law No. 5 of 1985 in seiner derzeit gültigen Fassung ("VAE-Zivilgesetzbuch") kraft Gesetzes als aufgehoben und die Parteien fallen automatisch auf ihre vorvertraglichen Positionen zurück. Sollte eine automatische Rückabwicklung nicht möglich sein, ist unter Umständen Schadensersatz zu leisten.
Ist die Vertragserfüllung nur teilweise oder vorübergehend unmöglich, steht dem Leistungsgläubiger nach dem Wortlaut des Artikel 273 Abs. 2 VAE-Zivilgesetzbuch ein Kündigungsrecht zu. Ob eine dauerhafte Unmöglichkeit vorliegt, dürfte insbesondere von der vereinbarten Vertragsdauer abhängen.
c. Abgrenzung zu bloßen Härtefällen
Artikel 273 VAE-Zivilgesetzbuch setzt voraus, dass das Ereignis höherer Gewalt zur Unmöglichkeit der Erfüllung vertraglicher Pflichten führt, also die Erfüllung gänzlich verhindert. Der Nachweis dessen kann sich als vergleichsweise hohe Hürde für den Leistungsschuldner erweisen.
Ereignisse, die die Leistung einer Partei nur beeinträchtigen oder Schwierigkeiten bei der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen begründen, führen regelmäßig nicht zur Unmöglichkeit der Erfüllung und damit nicht zu einem Force Majeure-Ereignis. Mithin tritt auch keine automatische Vertragsbeendigung ein.
Gleiches gilt für Ereignisse, die eine bloße Härte darstellen oder ein wirtschaftliches Ungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien bewirken. Artikel 249 VAE-Zivilgesetzbuch regelt insofern, dass bei Vorliegen außergewöhnlicher, unvorhersehbarer Umstände öffentlicher Natur, die zwar nicht zur Unmöglichkeit führen, aber für eine Partei erdrückende Wirkung haben, die Vertragspflicht unter gewissen Umständen durch richterliche Intervention auf ein vernünftiges Maß reduziert werden kann, wenn die Gerechtigkeit dies erfordert. Die VAE-Gerichte haben diese Bestimmung bislang nur zögerlich angewandt.
d. Vertragsgestaltung
Nach VAE-Recht steht es den Parteien im Rahmen der Vertragsfreiheit grundsätzlich offen, vertraglich festzulegen, unter welchen Umständen der Tatbestand höhere Gewalt erfüllt sein soll und welche Rechtsfolgen bei Vorliegen höherer Gewalt eintreten sollen. Tatsächlich enthalten viele lokale Verträge eine Force Majeure-Klausel.
2. Was ist aus Sicht des Leistungsschuldners bei Force Majeure zu beachten?
Wenn Sie vertragliche Verpflichtungen wegen der COVID-19-Pandemie und diesbezüglicher Regierungsmaßnahmen nicht erfüllen können und sich auf das Vorliegen eines Force Majeure-Ereignisses berufen wollen, gilt es, Folgendes zu beachten.
a. Vertragsinhalt
Zunächst ist der Ihrer Vertragsbeziehung zugrunde liegende Vertrag daraufhin zu überprüfen, ob dieser Regelungen zu Force Majeure enthält.
Ist dies nicht der Fall, finden die Bestimmungen des VAE-Zivilgesetzbuches Anwendung. Es gelten also die unter Punkt 1. dargestellten Grundsätze.
b. Auslegung
Enthält Ihr Vertrag Regelungen zu Force Majeure, ist es eine Frage der Auslegung, ob die COVID-19-Pandemie und deren Folgen als Force Majeure im Sinne Ihres Vertrages angesehen werden können. Aus Ihrer Sicht günstig wäre, wenn eine entsprechende Klausel ausdrücklich auf weltweite Epidemien, Pandemien oder Krankheiten und auf Regierungsanweisungen Bezug nimmt. Ist dies nicht der Fall, ist zu prüfen, ob sich die aktuelle Situation unter eine etwaig im Vertrag enthaltene Auffangklausel einordnen lässt.
Sollten Sie Ihre vertragliche Verpflichtung erst kürzlich eingegangen sein und können diese nun aufgrund der COVID-19-Pandemie und nachfolgender Regierungsmaßnahmen nicht erfüllen, ist zu prüfen, ob Ihre Klausel auch bereits bei Vertragsschluss existierende Ereignisse als mögliche Force Majeure-Ereignisse erfasst. Sollte dies nicht der Fall sein, ist äußerst fraglich, ob Sie sich erfolgreich auf höhere Gewalt berufen können. Denn das Merkmal Unvorhersehbarkeit liegt höchstwahrscheinlich nicht vor. Für Verträge aus Januar und Februar 2020 dürften die Umstände des Einzelfalls wegen der noch vergleichsweise starken regionalen Ausprägung und geringen Fallzahlen ausschlaggebend sein.
Sicherstellen sollten Sie auch, ob das Ereignis zur Unmöglichkeit der Vertragserfüllung führen muss oder bereits der Eintritt einer wesentlichen Leistungsverzögerung oder -erschwerung ausreicht, um den vertraglich vereinbarten Tatbestand von Force Majeure zu erfüllen.
c. Vereinbarte Rechtsfolgen
Relevant sind zudem die vertraglich vereinbarten Rechtsfolgen. Rechtsfolge von Force Majeure-Klauseln ist oftmals, dass die Vertragspartei, die aufgrund höherer Gewalt ihre Vertragspflichten nicht erfüllen kann, weder für Verzögerungen noch für Nichterfüllung haftet. Zum Teil verlängern sich bei Vorliegen des Tatbestands auch automatisch Fristen zur Erfüllung der Vertragspflichten. Zusätzlich wird dem Leistungsschuldner häufig ein Recht zur Kündigung eingeräumt.
d. Weitere Pflichten
Besonderes Augenmerk sollten Sie überdies darauf legen, ob die Vertragsklausel Sie als Leitungsschuldner dazu verpflichtet, Ihren Gläubiger innerhalb einer bestimmten Frist nach Kenntniserlangung über das betreffende Ereignis zu informieren und diesem in regelmäßigen Abständen detaillierte Sachstandsberichte vorzulegen.
Vertragsklauseln sehen zudem gelegentlich vor, dass die säumige Partei weiterhin Verpflichtungen erfüllen muss, die von dem Force Majeure begründenden Ereignis nicht betroffen sind.
Manche Klauseln verpflichten den Leistungsschuldner dazu, sich in angemessener Weise darum zu bemühen, durch das Ereignis verursachte Störungen zu mindern. Im Falle des Verstoßes gegen entsprechende Vorgaben könnten Sie daran gehindert sein, sich auf höhere Gewalt zu berufen.
e. Beweisführung
Wichtig ist, dass Sie als diejenige Vertragspartei, die sich auf Force Majeure berufen möchte, nachweisen müssen, dass und wie genau die COVID-19-Pandemie und deren Auswirkungen es Ihnen unmöglich gemacht haben, Ihre konkreten Vertragspflichten, etwa Lieferpflichten, ganz oder teilweise zu erfüllen. Im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidungsfindung würden sicherlich auch die zahlreichen Sachstandsberichte der Weltgesundheitsorganisation WHO, Regierungserlasse und Behördenanweisungen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie berücksichtigt.
3. Was ist aus Sicht des Leistungsgläubigers bei Force Majeure zu beachten?
Für den Fall, dass Ihr Vertragspartner die Vertragserfüllung unter Berufung auf die COVID-19-Pandemie verweigert, sollten Sie zunächst den mit Ihrem Vertragspartner geschlossenen Vertrag daraufhin durchsehen, ob dieser das Vorgehen Ihres Vertragspartners rechtfertigt. Enthält der Vertrag keine Bestimmungen zu Force Majeure, greifen die Grundsätze des auf den Vertrag anwendbaren Rechts.
Kommt VAE-Recht zur Anwendung und liegt ein Fall vorübergehender oder teilweiser Unmöglichkeit vor, steht Ihnen als Leistungsgläubiger nach dem Wortlaut von Artikel 273 Abs. 2 VAE-Zivilgesetzbuch ein Kündigungsrecht zu. Von diesem Recht sollten Sie nur Gebrauch machen, wenn die Voraussetzungen tatsächlich erfüllt sind. Andernfalls riskieren Sie unter Umständen das Entstehen einer Schadensersatzpflicht wegen unrechtmäßiger Kündigung.
Wichtig ist zudem, dass Sie von Ihrem Vertragspartner Nachweise und Aktualisierungen hinsichtlich der behaupteten Unmöglichkeit der Erfüllung anfordern.
Sind Sie zur Vorleistung verpflichtet und Ihrer Zahlungspflicht bereits nachgekommen und bestehen Unsicherheiten darüber, ob die Erfüllung der vertraglichen Pflichten Ihres Vertragspartners aufgrund der COVID-19-Pandemie künftig überhaupt möglich sein wird, sollten Sie mit Ihrem Vertragspartner zeitnah Kontakt aufnehmen und im Wege einer gütlichen Einigung Lösungsmöglichkeiten erarbeiten, bestenfalls die Erstattung sämtlicher geleisteter Gelder verhandeln. Sollten noch Teilzahlungen Ihrerseits ausstehen und Sie weiterhin an der verspäteten Leistung der Gegenseite interessiert sein, können Sie eine Vertragsneuverhandlung erwägen.
4. Was sollten Sie als Unternehmer nun in jedem Fall tun?
Aus unserer Sicht sind alle Unternehmen in der derzeitigen Situation gut beraten, eine aktuelle Bestandsaufnahme bestehender Verträge sowie offener Forderungen und Verbindlichkeiten zu erstellen und zeitnah, wenn und soweit nötig, mit Schuldnern und Gläubigern in Kontakt zu treten. Im Einzelnen empfiehlt sich das folgende Vorgehen:
- Erstellen Sie eine detaillierte Übersicht über Ihre bereits fälligen bzw. demnächst fällig werdenden Leistungspflichten und Forderungen.
- Überprüfen Sie bestehende Verträge auf Existenz und Inhalt von Klauseln zu Force Majeure und Vertragskündigung sowie auf Klauseln zum Gerichtsstand und zur Wahl des anwendbaren Rechts, um Ihre Rechtsposition zuverlässig einschätzen zu können.
- Nehmen Sie frühzeitig und proaktiv Gespräche mit ihren Gläubigern und Banken auf und kommunizieren offen ihre finanzielle Situation.
- Kontaktieren Sie Schuldner, um frühzeitig Kenntnis über potentielle Liquiditätsengpässe und Forderungsausfälle sowie deren Ursachen zu erlangen und erwägen Sie nach sorgfältiger Abwägung des jeweiligen Für und Wider den Abschluss von Stundungsvereinbarungen oder Vergleichen sowie die gerichtliche Eintreibung von Forderungen.
- Sollten Sie sich mit Gläubigern oder Schuldnern beispielsweise auf Vergleiche oder Zahlungspläne einigen, dokumentieren Sie diese Vereinbarungen immer schriftlich.
- Schließen Sie neue Verträge nur auf Grundlage einer sorgfältigen und umfassenden Risikoanalyse ab.
- Überprüfen Sie die Deckungsvereinbarungen aller bestehenden Versicherungsverträge im Hinblick auf das Eintreten der COVID-19-Pandemie und potentiellen Versicherungsschutz gegen Einschränkungen oder Unterbrechungen der Geschäftstätigkeit.
- Erarbeiten Sie nach Einholung der zuvor genannten Informationen zur Verhinderung eigener Zahlungsausfälle eine Budgetplanung und passen diese in regelmäßigen Abständen an.